Vorschläge für die Europäische Demokratie (Zusammenfassung)












19. Oktober 2011

Claudio Franzius, Ulrich K. Preuß




Executive Summary


Die Europäische Union befindet sich in einer äußerst kritischen Lage. Jahrzehntelang war die europäische Integration als ein Projekt der politischen Eliten der europäischen Demokratien von den Völkern der Mitgliedsstaaten hingenommen worden, da sie das Versprechen von Frieden und wachsendem Wohlstand einlöste. Diese Zeiten sind vorbei: integrationsfeindliche populistische Bewegungen in vielen Mitgliedsstaaten zeugen von wachsender Unzufriedenheit mit der Entwicklung der Europäischen Union. Die außer Kontrolle geratene Staatsverschuldung in einer wachsenden Zahl von Mitgliedsstaaten mit gefährlichen Konsequenzen nicht nur für die europäische Leitwährung, sondern auch für die Realwirtschaft, eine anhaltende gesellschaftliche Perspektivlosigkeit breiter Teile insbesondere der Jugend in einzelnen Mitgliedsstaaten und nicht zuletzt die Unfähigkeit der EU zu geschlossenem außenpolitischem Handeln selbst in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft sind Anzeichen für ein Versagen der politischen Eliten. Die Antwort darauf muss in einer Stärkung der europäischen Demokratie liegen.


Dieses Unterfangen ist sehr anspruchsvoll, da Demokratie in einem transnationalen Raum wie dem der EU ohne Vorbild ist; sie muss erst durch die demokratische Praxis der beteiligten europäischen Völker gelernt werden. Zwei Grundvoraussetzungen dienen dabei als Leitlinien: Die europäische Demokratie beruht nicht auf einem transnationalen Kollektivsubjekt, einem imaginären europäischen Demos. Sie beruht auf dem politischen Status der Unionsbürgerschaft. Europäische Demokratie und Demokratie in den Mitgliedsstaaten sind untrennbar miteinander verknüpft. Als eine Union der Völker, die sich in demokratischen Staaten verfasst haben, kann die EU ihre eigenen demokratischen Werte und Institutionen nur im Zusammenspiel mit demokratischen Institutionen ihrer Mitgliedstaaten verfolgen und verwirklichen.


Infolgedessen hat die Union eine zweigliedrige Legitimationsstruktur. Der eine Legitimationsstrang, fußend auf der Gesamtheit der Unionsbürger, führt zum Europäischen Parlament, der andere Strang über den Rat und den Europäischen Rat zu den nationalen Parlamenten und darüber zu den mitgliedstaatlich verfassten Völkern. Demokratische Praxis in der Europäischen Union besteht darin, dass die europäischen Bürger gleichzeitig und gleichgewichtig als Unionsbürger und als Angehörige einer Staatsnation ihr Urteil bilden und entscheiden.


In der gestuften Mehrebenenordnung der Europäischen Union können und müssen institutionelle Angebote egalitärer Beteiligung auf deren verschiedenen Ebenen gemacht werden. Die Autoren der Studie haben u.a. folgende Vorschläge unterbreitet (unabhängig davon, ob für deren Verwirklichung Vertragsänderungen notwendig sind oder nicht):

  1. Ein formelles Initiativrecht und ein originäres legislatives Beschlussrecht für das Europäische Parlament
  2. Stärkere Rückbindung der Kommission als ein Organ der europäischen Exekutive an die Wahlentscheidungen der Unionsbürger für das Europäische Parlament, konkret: der Kommissionspräsident sollte aus der Mehrheit der EP gewählt werden
  3. Stärkung parlamentarischer Minderheitenrechte in den nationalen Parlamenten 
  4. Eine transnationale Liste für die Wahl zum Europäischen Parlament (für zunächst 25 Sitze) 
  5. Schaffung eines eigenen europäischen Rechtsstatus der Parteien 
  6. Zulassung auch von europäischen Bürgerinitiativen, die mittelbar nur über Änderungen des Primärrechts zum Ziel führen können